Im Brennglas
Ansprache anlässlich der Verabschiedung und Entpflichtung
von Prof. Dr. Werner Zager am 4. Juli 2025
Pröpstin Pfarrerin Henriette Crüwell
Liebe Festgemeinde, lieber Herr Prof. Dr. Zager, eine Lupe macht Kleines groß und konzentriert den Blick aufs Detail, damit wir die Zusammenhänge besser verstehen und einen Sinn für das große Ganze bekommen können. Denn sie ist eine Seh- und Lesehilfe.
Ich habe Ihnen, lieber Herr Dr. Zager, heute anlässlich Ihrer Verabschiedung aus dem aktiven Pfarrdienst eins dieser Brenngläser mitgebracht. Denn im Gespräch mit Ihnen kam mir der Gedanke, dass Sie jemand sind, der genau hinschaut, jedes Detail bedenkt, immer im Bestreben, den großen Fragen unseres Menschseins nachzugehen und tiefer zu verstehen, was uns im Letzten Orientierung, Sinn und Halt zu geben vermag.
Die Plakate aus 22 Jahren evangelische Erwachsenenbildung in Worms, die heute hier ausgestellt sind, geben davon ein sehr beredtes Zeugnis. Denn das Verständnis auch für das Kleinste ermöglicht erst die Freiheit des Denkens, die Ihnen als Theologe stets Antrieb war und für die Sie auch Ihre Studierenden sowohl an den Universitäten Bochum und Frankfurt als auch in der Wormser Erwachsenenbildung begeistern wollten und konnten.
Sie sind hier in Worms aufgewachsen und haben als junger Organist und Mitarbeiter im Hermsheimer Kindergottesdienst schon früh in der Kirche Verantwortung übernommen. Aber es war der Religionsunterricht von Pfarrer Ufer der für Sie schließlich den Ausschlag für das Studium der Theologie gab. Denn er verstand es, Ihnen den Pfarrberuf als den freiesten unter Seinesgleichen schmackhaft zu machen. Was für ein glücklicher Umstand noch dazu, dass Sie in Ihrem Theologiestudium in Frankfurt auch Ihre liebe Frau kennen und lieben lernten.
Nach weiteren Stationen in Mainz und Tübingen und dem ersten kirchlichen Examen in der EKHN absolvierten Sie Ihr Lehrvikariat in der Darmstädter Andreasgemeinde, in der Sie am zweiten Weihnachtsfeiertag 1985 ordiniert wurden und in die Sie zwei Jahre später mit einer fertigen Doktorarbeit zum „Begriff und Wertung der Apokalyptik in der neutestamentlichen Forschung“ in der Tasche als Pfarrvikar zurückkehren sollten. Ihre Promotion zum Doktor theol. erfolgte noch im selben Jahr und nach Ihrer Hochzeit im März 1988 wurden Sie als Pfarrerehepaar in Seeheim begrüßt und in Ihre ersten Pfarrstellen eingeführt.
„Mit jedem Kind stand ein neuer Umzug an,“ meinten Sie lächelnd über Ihre nächsten Lebensstationen. Sie habilitierten sich mit einem Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Fach Neuen Testament, wirkten neben, mit und in Vertretung Ihrer Frau als Pfarrer in Eifa und Altenburg, und nachdem auch Ihr Jüngster im Bunde das Licht der Welt erblickte, wurden Sie wissenschaftlicher Mitarbeiter und schließlich Privatdozent und außerplanmäßiger Professor für Neues Testament an der Universität Bochum. Seit dem 1. Oktober 2003 bis heute waren Sie der Leiter der Evangelischen Erwachsenenbildung im Dekanat Worms und darüber hinaus 20 Jahre als außerplanmäßiger Professor und Lehrbeauftragter für Neues Testament am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Frankfurt tätig.
Ihr breitgefächertes theologisches Interesse schlägt sich nieder in Ihrer Mitgliedschaft in ganz verschiedenen wissenschaftlichen Gesellschaften, unter anderem sind Sie seit 2002 Präsident des Bundes für Freies Christentum, aber auch als Herausgeber u.a. der „Theologischen Studien-Texte“, der „Beiträge zur Albert-Schweitzer- Forschung“ und der Kommentierte Edition der Briefwechsel Rudolf Bultmanns mit Günther Bornkamp, Götz Harbsmeier und Ernst Wolf. Die Liste Ihrer Publikationen ist lang. Auch sie spiegelt Ihr tiefes Verständnis der Theologie wider und Ihr Anliegen, theologische Wissenschaft immer auch im Blick auf kirchliche Praxis zu betreiben. Dabei legen Sie großen Wert auf „nachvollziehbare, mit der Vernunft und unserer heutigen Weltsicht vereinbare Gedankengänge sowie auf verständliche Sprache.“
Als Sie sich vor 22 Jahren auf die Profilstelle im Handlungsfeld „Bildung“ im Evangelischen Dekanat Worms-Wonnegau bewarben, taten Sie das mit einem klaren Profil und einem ausgearbeiteten Konzept für die Arbeit in der Evangelischen Erwachsenen Bildung: Theologie und Glaube, Ethik und Handeln sind die Säulen Ihres Bildungskonzepts. Die Dekanin wird noch Ihr segensreiches Wirken und Lehren im Dekanat Worms-Wonnegau noch im Einzelnen würdigen. In der Allgemeinen Zeitung hieß es über Ihren Amtsantritt, und ich möchte daraus zitieren, weil es meines Erachtens gut auf den Punkt bringt, wofür Sie stehen; „Bei aller Wissenschaftlichkeit, die er in das Thema einzubringen vermag, will Zager die Messlatte keineswegs zu hochlegen, sondern im Gegenteil die Schwelle für Distanzierte und Zweifelnde niedriger machen. „Dass man Dinge hinterfragen darf, gehört zur Wahrhaftigkeit des Glaubens,“ betonte Zager und beschrieb Bildung in gut jüdischer und protestantischer Tradition als lebenslanger Prozess, der die Entwicklung des ganzen Menschen gerade auch in christlich-ethischem Sinne meine. Wesentliches Merkmal der Bildung sei „ihr tiefes leidenschaftliches Verhältnis zur Ruhe“. Die Erwachsenenbildung könne deshalb eine Oase des Denkens und der Gelassenheit sein, meinte Zager.“ (AZ-Worms, 13.10.2003)
Da ist er wieder: Der ruhige und aufmerksame Blick auf die großen Fragen des menschlichen Lebens, die sich im Kleinen und Alltäglichen durchbuchstabieren. Was ist die Theologie anderes als eine Seh- und Lesehilfe dafür? Sie hilft uns, die Dinge klar und genauer zu sehen. Und erlauben Sie mir eine kleine Nebenbemerkung: Bei allen Unkenrufen, in die wir als Kirche und Theologie selbst immer wieder vor lauter Kleinmut angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen einstimmen, könnten wir ruhig ein bisschen selbstbewusster von der Hoffnung sprechen, die uns erfüllt und uns die Augen öffnet für die Zukunft, die uns verheißen ist. In Zeiten des Klimawandels, der zunehmenden Kriege um Ressourcen und in einer Gesellschaft, die immer weiter auseinander zu triften droht, muss jemand die großen Fragen des Lebens so stellen, dass Menschen in all den Krisen und Ängsten unserer Tage Orientierung und Sinn finden und sich gegen die Hoffnungslosigkeit stemmen. Dafür braucht es Mut und Bildung, Bekenntnis und Besonnenheit. Sie, lieber Herr Prof. Dr. Zager haben sich dafür unermüdlich eingesetzt.
Und weil das so ist, haben Sie sich für heute ein Wort aus dem zweiten Brief des Apostel Paulus an Timotheus ausgesucht, das Sie schon länger durchs Leben begleitet. „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft der Liebe und der Besonnenheit.“
Es ist ein geradezu pfingstlicher Zuspruch, der uns daran erinnert, dass wir alle Gottes Geist empfangen haben, der in uns seufzt, wenn wir nicht mehr wissen, wie beten geht, der uns in der engsten Enge der Angst Raum schafft und uns miteinander über alle Grenzen hinweg verbindet, der uns gelegentlich ein Licht aufgehen lässt und uns immer tiefer in die Wahrheit führt. Gottes Geist ist die Kraft, in der wir losgehen, den ersten Schritt wagen und verändern, was wir verändern können. Gottes Geist ist aber auch die Liebe, in der wir einander und uns selbst mit Wohlwollen begegnen und aushalten, was wir nicht ändern können. Und Gottes Geist ist schließlich die Besonnenheit, mit der wir das eine vom anderen unterscheiden.
Dass dieses Leben im Geist und in der Nachfolge Jesu nicht immer ein Zuckerschlecken ist, sondern manchmal auch ein echtes Leiden um des Evangeliums willen, wie Paulus seinem Schüler Timotheus schreibt, davon wissen auch Sie zu erzählen. Auch in Ihrer Biografie gab es Rückschläge und Enttäuschungen. Und ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Ihnen in der Rückschau die guten wie die bösen Tage zum Segen werden. Hier in Worms sind Sie jedenfalls zum Segen geworden. Gott sei Dank für Ihr Wirken in dieser Stadt und darüber hinaus!
„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit,“ so steht es schon in Ihrer Hochzeitseinladung. Denn es ist auch Ihr Trauspruch, liebes Ehepaar Zager. Und als ich Ihnen, lieber Kollege, neulich zuhörte und erfuhr, wie viel und wie intensiv Sie mit Ihrer Frau und nun auch mit der nächsten Generation zusammenarbeiten, -denken, -schreiben, -redigieren, aber auch musizieren und vieles mehr, dachte ich: „Wow! Was für ein Familienunternehmen!“
Und deswegen steht auch in der Lupe, die ich Ihnen als kleine Erinnerung an heute mitgebracht habe, „Familienunternehmen Dr. Werner Zager“. Denn was wäre Ihrem Blick nicht alles entgangen ohne diese Menschen, die Sie bis hierher gebracht und begleitet haben und Ihnen auch weiterhin zur Seite stehen mögen? Auch davon gibt diese Plakatausstellung hier Zeugnis.
Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie für den neuen Lebensabschnitt, der nun vor Ihnen liegt, auch weiterhin den liebevollen und aufmerksamen Blick fürs Detail, die Lust und die Sehkraft, mit anderen um das große Ganze zu ringen und dabei nicht müde zu werden, die Fragen der Fragen zu fragen im festen Glauben die letzte Antwort schon gefunden zu haben. Ich wünsche Ihnen die Gelassenheit und Ruhe, die es dafür braucht, aber vor allem und über allem Gottes Geist, in dem wir ja leben, weben und sind. Bleiben Sie in ihm behütet und bewahrt. Gott befohlen, lieber Kollege!