Miteinander reden - Miteinander lernen

Die Würfel

Diese Passionsandacht können sie hier auch als Videoandacht ansehen.

Einleitung

Wenn Sie einmal in Bayern oder in Österreich Urlaub gemacht haben, werden Sie mit Sicherheit die Aussicht auf die schneebedeckten Berge genossen haben, genauso wie den Duft der Almwiesen und den fernen Klang der Kuhglocken.

Wenn Sie aufmerksam die Kirchen und Kapellen betrachtet haben, die in den Alpenländern ja zahlreich zu finden sind, werden Ihnen vermutlich auch diese beson­de­ren Kreuze aufgefallen sein, von denen in unseren Passionsandachten die Rede sein wird:

Kruzi­fixe mit den Leidens­werk­zeugen Chris­ti, so genannte „Arma-Christi-Kreuze“.

Das lateinische Wort Arma bedeutet „Waffen“ und bezeichnet hier die Leidenswerkzeuge bei der Kreuzigung Christi. Beim Arma-Christi-Kreuz handelt es sich um ein Kreuz, bei dem neben dem Korpus des Gekreuzigten die sogenannten Leidenswerkzeuge (lateinisch: Arma Christi) zu sehen sind.

Um genügend Platz für die Darstellung der Leidenswerkzeuge zu haben, ist der Längsbalken eines Arma-Christi-Kreuzes gelegentlich sehr breit ausgeführt, oder das Kreuz hat zwei Querbalken.

Bis zum 12./13. Jahrhundert verstand man die dargestellten Leidenswerkzeuge Christi als Zeichen seines Königtums und des Triumphes über den Tod. Ab dem 14. Jahrhundert ist ein Bedeutungswandel hin zum Andachtsbild des Schmerzensmannes zu beobachten; die dargestellten Leidenswerkzeuge dienten nunmehr der Passionsfrömmigkeit, dem meditativen Betrachten der Passion Christi.

Die ältesten bekannten Arma-Christi-Kreuzesdarstellungen sind Fresken aus dem Mittelalter.

Plastische Arma-Christi-Kreuze kamen insbesondere seit der Zeit der Gegenreformation im Barock auf. Die Kapuziner förderten diese Form des Andachtsbildes, sodass die Kreuze manchmal auch als „Kapuzinerkreuz“ bezeichnet werden.


Andacht

Aus dem Johannesevangelium im 19. Kapitel:

Die Soldaten aber, da sie Jesus gekreuzigt hatten, nahmen seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch den Rock. Der aber war ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück.

Da sprachen sie untereinander: Lasst uns den nicht zerteilen, sondern darum losen, wem er gehören soll.

So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt (Ps 22,19):
„Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.“
 

Das taten die Soldaten.

Die Würfel

Oberflächlich ist alles normal. Die Henker teilen die letzten persönlichen Gegenstände des Hingerichteten unter sich auf. Das war damals Teil ihres Lohnes.

Doch der Psalm 22 lässt tiefer blicken. Mit diesem Psalm deutet der Evangelist Johannes Tod und Auferweckung Jesu:

Heute verspottet und verkannt, drei Tage später von Gott Vater gerettet und auferweckt. Sterben und Auferstehen sind Teil des Heilsplanes Gottes.

Die Soldaten nehmen Jesus die Kleider fort. Sie entkleiden ihn. Das Gewand, die Kleidung weist einem Menschen seine soziale Stellung zu; es gliedert ihn in die Gesellschaft ein, macht ihn zu jemand. Kultur ist, Kleider zu haben. Jemandem die Kleider wegnehmen bedeutet, ihm die Ehre nehmen, ihn dem Spott preisgeben, ihn erniedrigen, ihn aus der Gemeinschaft ausschließen und ihn innerlich verletzen.

Die öffentliche Entblößung Jesu bringt zum Ausdruck, dass er nun nichts mehr ist. Er ist ein Ausgestoßener, der Verachtung preisgegeben.

Die Beispiele sind zahlreich, wo Menschen bloßgestellt werden mit Taten und mit Worten, direkt von Angesicht zu Angesicht oder auch nur über Facebook oder WhatsApp.

Mobbing, Hänseln, sich lustig machen, einen anderen mit Worten ausziehen und der Scham anheimgeben, das ist etwas, was bis auf den heutigen Tag gerne gemacht wird. Wer mobbt und hänselt, fühlt sich stark. Wer gemobbt und gehänselt wird, fühlt sich wie ein Nichts – oder noch schlimmer.

Der Augenblick der Entblößung erinnert uns daran, dass wir Menschen nicht mehr im Paradies leben. Der Glanz Gottes ist von dem Menschen abgefallen. Er findet sich nackt und ausgesetzt wieder, entblößt und schämt sich. Zugleich ist er es, der andere verspottet und beschämt. Der entkleidete Jesus erinnert uns daran, dass wir alle das „erste Gewand“, den Glanz Gottes verloren haben.

Jesus lässt zunächst das Treiben der Soldaten willig über sich ergehen. Er wehrt sich nicht. Er erfährt nur noch Schimpf und Schande. Und trotzdem hält er still. Er, der geschmäht wird, schmäht nicht zurück, denn Menschen können ihm nichts anhaben, der sich ganz im Willen Gottes geborgen weiß.

Unter dem Kreuz würfeln die Soldaten um Jesu armselige Habe, um das Gewand.

Die Evangelisten erzählen dies mit Worten aus dem Psalm 22,19 und sagen uns damit das, was Jesus den Jüngern von Emmaus nach der Auferstehung sagen wird: All dies ist geschehen „gemäß der Schrift“. Nichts ist hier bloßer Zufall, all dieses Geschehen ist umfasst vom Wort Gottes und getragen von seinem göttlichen Sinn. Der Herr Jesus Christus durchschreitet alle Stationen des menschlichen Verlorenseins und jede dieser Stufen ist in aller Bitterkeit ein Schritt der Erlösung:  


Der erste Vers dieses Psalms war es, den Jesus als letztes Wort am Kreuz schrie: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Alle Verzweiflung und Einsamkeit, aller Schmerz und alle Gottverlassenheit stecken in diesem Ruf. Dieser Gott, für den er alles getan hatte, in dessen Namen er geredet und geheilt hatte, dieser Gott schwieg jetzt in seiner dunkelsten Stunde.

Es gibt wohl keine schrecklichere Einsamkeit als die des Menschen, der sein Leben lang sehnsüchtig und vertrauensvoll an Gott festhielt – und am Ende sich von Gott so verraten und verlassen fühlen muss. Und doch ist da noch eine Spur der alten Nähe: „Mein Gott“, ruft er. Nicht: „Es gibt keinen Gott!“. Er bleibt noch immer „mein Gott“, auch wenn er nicht mehr zu erkennen ist.

In Psalm 22 erkannten die ersten Christen die Passion ihres Herrn: Auch er verlassen und verspottet. Auch um seine Kleider haben sie schon das Los geworfen, sie verteilt, als sei er schon tot. Auch ihn verspotten sie und sagen: „Er hat auf Gott vertraut, dann soll doch Gott selber ihm helfen. Beißender Spott über den, der glaubte und der anderen Gutes tat.“

In den Psalmen des Alten Testaments steckt die Gotteserfahrung so vieler Glaubender vor Jesus. Trotz aller gefühlten Gottverlassenheit, ist Gott nicht fern.

Vielleicht müssen wir in diesen schwierigen Zeiten mit Jesus und mit dem Psalmbeter bis in die Tiefe der Gottesfinsternis gehen. Aber Gott ist auch in der Gottesfinsternis nicht fern. Vom Anfang an seines Weges mit uns Menschen hat er seine Liebe nicht aufgegeben und seine Güte nicht vergessen.

Der Psalm 22 deutet Tod und Auferweckung Jesu: Heute verkannt, drei Tage später von Gott Vater auferweckt. Und das alles, damit wir nicht nackt und bloß vor Gott dastehen, sondern mit dem Kleid seiner Gerechtigkeit angetan werden. Amen.


Gebet
Schonungslos entblößen sie Dich.
Deine Kleider, Dein letzter Schutz, teilen sie unter sich auf.

Die Würfel, das Glück entscheidet,
wer sie jetzt tragen darf.

Du stehst da, nackt, gedemütigt bis ins Herz.
Aber Du hältst trotzdem fest an Deinem Gott, auch wenn Du ihn nicht spürst.

Jesus Christus, Du gehst durch Leiden und Tod;
denn Du glaubst an das Leben.

Lass uns mit Dir auferstehen. Amen.

Gebet aus einem Misereor-Kreuzweg aus Lateinamerika, 1992