Miteinander reden - Miteinander lernen

Evangelischer Bildungsimpuls 11

Taufe

von Dorothea Zager und Werner Zager

 

Sowohl in der katholischen als auch in der evangelischen Kirche sind die Sa­kramente ein fester Bestandteil der gottesdienstlichen Feier und des christlichen Lebensvollzuges. Allerdings kennt die evangelische Kirche im Unterschied zur katholischen nur zwei Sakramente: die Taufe und das Abendmahl. Dies liegt darin begründet, dass die Reformatoren nur solche „heiligen Handlungen“ als Sakramente anerkannten, die von Jesus selbst eingesetzt worden sind. So kam es, dass in der evangelischen Kirche nur noch die Handlungen als Sakramente gefeiert wurden, für die man eine ausdrückliche Aufforderung Jesu im Neuen Testament finden konnte: den Taufbefehl im Matthäusevangelium und die Einsetzungsworte zum Abendmahl in den drei ersten Evangelien oder im 1. Korintherbrief.

Heute sind sich allerdings die meisten Neutestamentler – unter ihnen auch Albert Schweitzer – darin einig, dass auch diese Aufforderungen, wie sie uns im Neuen Testament überliefert wurden, nicht auf Jesus selbst zurückgehen. Weiß man um diese Erkenntnisse, stellt sich natürlich die drängende Frage: Welchen Wert, welche Bedeutung haben dann Taufe und Abendmahl für uns heute, selbst wenn der historische Jesus sie nicht zur steten Praktizierung geboten hat? Gibt es nicht dennoch gute Gründe, die für eine feierliche Segenshandlung an einem werdenden Christen sprechen und für eine gemeinschaftliche Mahlfeier in der Gemeinde?

Machen wir uns bewusst, wie Taufe und Abendmahl entstanden sind und sich geschichtlich entwickelt haben, fällt es uns leichter, ihren Wert und ihre Bedeutung auch für uns heute zu formulieren.

 

Wie die Taufe entstand

Worauf die Taufpraxis beruht und wie sie zu ihrer heutigen Form gelangte, hat Albert Schweitzer in einem Brief aus Lambarene sehr eindrücklich geschildert:

Die Taufe stammt von Johannes dem Täufer. Sie bedeutet, dass der Täufling von seinen Sünden durch seine Buße reingewaschen ist und zum messianischen Reich eingehen wird, das bald kommen wird.

Jesus selber hat nicht getauft, denn die Beziehung, in der die Menschen, die seine Botschaft vernahmen, mit ihm verbunden waren, bewirkte, dass sie mit ihm ins Reich Gottes kamen.

Jesus hat keinen Befehl zur Taufe gegeben. Die Erzählung in Matthäus 28, dass er auf dem Berge vor der Himmelfahrt den Jüngern geboten hat zu taufen, erweist sich als späteren Ursprungs, weil sie die Taufe auf die Dreieinigkeit voraussetzt, die erst viel später aufkam.

Die christliche Taufe ist die Fortsetzung der Johannestaufe, die dadurch verchristlicht wurde, dass sie auf den Namen Jesu geschah und dem Täufling das Eingehen in das Reich Gottes garantierte auf Grund seines Glaubens, dass Jesus der Messias sei, der für das Kommen des Reiches Gottes den Opfertod erduldet hat.

Nachher wurde in der Katholischen Kirche die Taufe auf Gott den Vater, Gott den Sohn und den Heiligen Geist vollzogen.

In der christlichen Taufe erwarb man wie in der des Johannes die Seligkeit des Eingehens in das Reich Gottes durch die Vergebung der vergangenen Sünden. Die Taufe gewährte keine fortgesetzte Vergebung später begangener Sünden. Diese Vergebung der nachher begangenen Sünden kann nur durch tiefe Buße, die die Kirche überwacht, erworben werden. Das ist noch heute die Lehre der Katholischen Kirche.

Im 5. Jahrhundert nach Christus führte die Katholische Kirche die Kindertaufe ein, damit die Kinder sich von Jugend an als der Kirche zugehörig fühlten. Viele Christen waren dagegen. Viele aber fanden es wertvoll, dass die Kinder von Jugend an Jesus geweiht waren und dessen im Leben eingedenk bleiben sollten. Auf die Bemerkung, dass die Kinder noch nicht der Sündenvergebung durch die Taufe bedurften, antwortete die Kirche, dass die Taufe sie von der Erbsünde reinigte!

Die Reformation übernahm die Kindertaufe, obwohl sie im Prinzip auf das ursprüngliche Christentum, das nur die Taufe der zum Bekennen der Sünde gelangten Menschen anerkannte, zurückgehen wollte. Aber im Reformationszeitalter entstanden Bewegungen, die auf die Taufe der Erwachsenen zurückgingen. Sie wurden (fälschlicherweise) als Irrlehrer angesehen und verfolgt. In späterer Zeit wurden sie als Christen, die ihre Besonderheit hatten, anerkannt und lebten in Frieden mit der Kirche.

Luther hatte eine neue Lehre der Taufe aufgestellt. Er behauptete, dass sie fort und fort Sündenvergebung erwerbe für den, der an die durch Jesu Opfertod erworbene Sündenvergebung glaube. Diese Ansicht ist unhistorisch, aber sie gibt der Taufe eine tiefe fortgehende religiöse Bedeutung.“

Nun könnte man fragen, ob die Taufe, wenn sie in ihrer heutigen Form nur das Ergebnis einer geschichtlichen Entwicklung ist und eigentlich gar nicht auf ein Gebot Jesu zurückgeführt werden kann, überhaupt eine Berechtigung hat, in der Kirche einen festen Platz als Sakrament zu beanspruchen. Albert Schweitzer hat in dieser Frage einen guten Mittelweg gefunden. Er vertritt zwar grundsätzlich die Auffassung, dass sich der Protestantismus aus „Ehrfurcht vor der Wirklichkeit“ – man könnte auch sagen: aus Ehrfurcht vor der historischen Wahrheit – von den Sakramenten lösen sollte. Praktisch würde dies bedeuten: Nicht nur Getaufte sind Christen, sondern auch Menschen, „die zu einem einfachen Christentum sich bekennen möchten“. Andererseits spricht sich Schweitzer nicht rundweg für die Abschaffung der Taufe aus. Die feierliche Handlung an sich hat bereits einen hohen Wert, und es ist unsere Aufgabe, diesen alten Ritus mit neuem Geist zu erfüllen.

 

Was die Taufe heute bedeutet

Bei der Frage, wie der Ritus der Taufe heute mit neuem Geist erfüllt werden kann, muss gleichzeitig auch die Frage nach der Kinder- und Erwachsenentaufe mit in Betracht gezogen werden.

Wenn wir in einem Gottesdienst die Taufe eines Säuglings erleben, erfüllt es uns immer wieder mit Freude, dass schon diese Kleinen zu uns dazugehören dürfen, dass es den Eltern wichtig ist, ein Zeichen der Verbundenheit zu ihrer Kirche zu setzen, indem sie ihre Kinder taufen lassen. Es macht uns froh zu erleben, wie diese Kleinen bereits durch Wort und Handlung zu Gliedern unserer Kirche, durch die Fürbitte Gott anvertraut und durch die Handauflegung mit seinem Segen beschenkt werden. Nicht umsonst wird gerade bei der Kindertaufe immer wieder das Wort Jesu zitiert: „Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solchen gehört das Reich Gottes.“ In diesen Worten liegt das beschlossen, was uns unser Innerstes sagt beim Anblick eines kleinen Kindes: „Auch du gehörst zu Gott, so wie wir Er­wachsenen, auch wenn du es noch nicht verstehst und du dich noch nicht dazu äußern kannst. Denn du bist ein Geschöpf, ein Geschenk Gottes, und in dir liegt die Zukunft des Lebens und auch unserer Kirche.“ Auch Albert Schweitzer steht dafür ein, dass die Taufe allein deshalb „eine wertvolle Sache sei“, weil „schon die Kinder das Bewusstsein haben, durch die Taufe, die sie mit den ersten Tagen ihrer Existenz empfangen haben, Christo anzugehören“.

Andererseits beschleicht viele bei der Taufe von Säuglingen auch immer wieder ein ungutes Gefühl – gerade auch viele Eltern: War die Taufe nicht ursprünglich eine Erwachsenentaufe, der die freie Entscheidung eines mündigen Menschen zur Mitgliedschaft in der christlichen Gemeinde vorausging? Und ist damit nicht die Taufe von unmündigen Kindern eine – wenn auch gut gemeinte – Form der Bevormundung? Sollten Eltern nicht mit der Taufe warten, bis die Kinder herangewachsen und in der Lage sind, sich selbst für oder gegen eine Mitgliedschaft in der Kirche zu entscheiden? Bis hinein in die Gegenwart lebt dieser Streit um die Berechtigung der Kindertaufe immer wieder auf. Albert Schweitzer nimmt auch hier eine vermittelnde Position ein, indem er versucht, das Augenmerk dabei auf den Kern des Christseins zu lenken:

Die Hauptsache ist, dass wir Christo wirklich im Geiste angehören, ob wir bei der Geburt oder erst als Erwachsene getauft wurden. Die Hauptsache ist, dass wir dem Geiste Jesu gehorsam sein wollen, und so bereitet werden auf die Seligkeit der Kinder Gottes schon hienieden.“

Von daher wird deutlich, mit welchem neuen Sinn und Geist heute der alte Ritus der Kindertaufe erfüllt werden kann:

In der Taufe wird das Kind gesegnet, so wie Jesus selbst die Kinder segnete. Er machte mit diesem Segen deutlich, dass die Kinder nicht nur gleichwertig sind mit den Erwachsenen, sondern dass sie ihnen sogar etwas Wesentliches voraushaben und ihnen zu lernen geben können: das unmittelbare Vertrauen zu Gott und zu den Mitmenschen, die zur Liebe fähige Seele, die noch von Idealen und Hoffnungen getragene Lebensfreude. All das segnet Gott in den Kindern.

In der Taufe wird das Kind nicht nur rein rechtlich Glied der Gemeinde, sondern es wird im Gottesdienst der Gemeinde vorgestellt und bekannt gemacht. Damit trägt jedes Gemeindeglied mit Verantwortung dafür, dass dieses Kind wahrgenommen und als solches liebgewonnen wird, dass es ein Zuhause innerhalb der Gemeinde findet, ihm Raum und Möglichkeiten geschaffen werden, sich zu entfalten und der Botschaft von Gottes Liebe zu begegnen.

Die gleiche, nun aber weitaus persönlichere Verantwortung liegt durch die Taufe bei den Eltern und Paten. Dem Kind das Evangelium von Jesus lieb und wert zu machen, es an den Gottesdienst, an das tägliche Gebet, an das Nachdenken über die Geschichten und Worte der Bibel als festen Bestandteil seines noch jungen Lebens zu gewöhnen und ihm das Gefühl der Dankbarkeit und der Verantwortung gegenüber Gott und seiner Schöpfung in das Kinderherz zu pflanzen, dieses Versprechen kann man nicht leichtfertig geben, sondern muss ernsthaft darum bemüht sein, es auch einzulösen.

Dem Getauften wird die Entscheidung darüber nicht abgenommen, ob er oder sie als erwachsener Mensch der christlichen Gemeinde angehören will oder nicht. Bei seiner Konfirmation und auch später noch ist der junge Mensch frei, sich für oder gegen eine Mitgliedschaft in der Kirche zu entscheiden. Die Taufe, das verwirklichte Versprechen der Eltern und die Fürsorge der Gemeinde sollen dabei Fundament und Hilfe sein, die Frage nach dem Bleiben ehrlich und nach Möglichkeit mit einem „Ja“ zu beantworten.

© Prof. Dr. Werner und Dorothea Zager
Abdruck oder Veröffentlichung nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Verfasser


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