Miteinander reden - Miteinander lernen

Evangelischer Bildungsimpuls 12

 Abendmahl

von Dorothea Zager und Werner Zager

 

Wie das Abendmahl entstand

Auch das Abendmahl, so wie wir es heute in unseren Gottesdiensten feiern, ist wie die kirchliche Taufe das Ergebnis einer längeren geschichtlichen Entwicklung, in der sich Form und Bedeutung wandelten. Albert Schweitzer beschreibt diese Entwicklung mit folgenden Worten:

Mit der Wiederholung des letzten Mahles Jesu mit seinen Jüngern verhält es sich wie mit der Taufe des Johannes: sie kommt als sinnvoll im Urchristentum auf, ohne dass Jesus es befohlen hat, und obwohl es unwiederholbar scheint.

Die Berichte vom letzten Mahle bei Matthäus und Markus enthalten kein Wort, das die Wiederholung gebietet. Da aber nachher eine Wiederholung statthat, erscheint es selbstverständlich, dass es auf Anordnung Jesu geschehen sei. So findet ein dahin gehendes Wort Aufnahme in den Bericht des letzten Mahles mit den Jüngern. Dies ist schon bei Paulus der Fall. Die Worte Jesu beim Abendmahl, wie er sie den Korinthern anführt, um sie über die Feier zu belehren, enthalten die Aufforderung zur Wiederholung.

Für die Jünger und die ersten Gläubigen machen Jesu Worte von Brot und Wein als seinem Fleisch und Blut, die wir als das Wesentliche des letzten Mahles ansehen, die Bedeutung desselben nicht aus. Diese besteht vielmehr in der von ihm gesprochenen Danksagung über Brot und Wein. Die Worte von Brot und Wein als seinem Leib und Blut sind nur zwei Gleichnisse im Hinblick auf seinen bevorstehenden Tod, die er der Danksagung anfügt. Für die Jünger ist das Mahl ein Danksagungsmahl. Als solches wiederholen sie es. Als solches ist es wiederholbar. Die Danksagung, die derjenigen Jesu beim Abendmahl nachgebildet ist, kann von anderen gesprochen werden. Das historische Mahl war ein Abschiedsmahl, die urchristliche Feier ein freudiges Danksagungsmahl – und nur das.

Worauf aber geht die Danksagung? Nicht nur auf Speise und Trank, wie sie zum Mahle bereitliegen. Es handelt sich um ein Tischgebet besonderer und höherer Art. Dank wird in ihm Gott dargebracht für das messianische Mahl, auf das die Gläubigen bei diesem Versammeltsein zum gemeinsamen Essen miteinander ausschauen, und für das Reich, das in Bälde anbrechen soll.

Diese starke Ausrichtung des letzten Mahles Jesu auf das in Kürze hereinbrechende Reich Gottes und das damit verbundene endzeitliche Heilsmahl fasste Jesus bei seinem letzten Mahl mit seinen Jüngern selbst in die Worte: „Amen, ich sage euch: Ich werde nicht mehr vom Gewächs des Weinstocks trinken bis zu jenem Tag, wenn ich es neu trinken werde im Reich Gottes.“ Es ist jedoch wenig wahrscheinlich, dass er selbst dabei die Sühnkraft seines ihm bevorstehenden Todes thematisiert hat. Der Sühnetodgedanke fand erst später – sehr bald schon nach Jesu Tod – Eingang in die Überlieferung der von Jesus bei seinem letzten Mahl gesprochenen Worte.

Wird es uns nun durch die Erkenntnis, dass die Naherwartung von Wiederkunft Jesu und Kommen des Reiches Gottes enttäuscht wurde, unmöglich, das Abendmahl im oben genannten Sinne als endzeitlich ausgerichtetes Danksagungsmahl zu feiern, ist es uns aber genauso schwer möglich, das Abendmahl vom Gedanken des Sühnetodes Jesu her zu interpretieren, dann stellt sich – ähnlich wie bei der Taufe – die Frage, welchen Gehalt wir dem Abendmahl beilegen, wenn wir es auch weiterhin feiern wollen.

Schweitzer betonte zu Recht die „große Bedeutung [der] Gemeinschaftsdarstellung in unserer armseligen Predigerkirche“; denn wir brauchen gerade in unserer evangelischen Kirche, in deren Gottesdiensten so viel gesprochen, verlesen und nachgedacht wird, sichtbare Zeichen und menschliche Gesten, die die frohe Botschaft, die uns die Worte vermitteln wollen, auch erlebbar machen.

 

Was das Abendmahl heute bedeutet

Folgende Aspekte, die dem Abendmahl entweder von Anfang an zugehören oder im Laufe der Geschichte zugewachsen sind, geben ihm auch heute einen guten Sinn:

Das Abendmahl ist ein Erinnerungsmahl. Indem wir die überlieferten Worte Jesu bei seinem Abschiedsmahl mit seinen Jüngern hören, erinnern wir uns an ihn selbst, an sein Lebenswerk, an die Qualen, die man ihm zufügte, und an seine Hinrichtung, die er als letzte Konsequenz seiner Liebe zu den Menschen und seines Gehorsams gegen Gott erduldete. Mit diesem erinnernden und verinnerlichenden Blick auf das Kreuz Jesu wird es uns möglich, mit neuer Kraft und mit neuem Mut in seine Nachfolge zu treten und selbst Entbehrungen und Rückschläge zu ertragen, wenn es darum geht, Gottes Liebe unter den Menschen weiterzugeben.

Das Abendmahl ist ein Wiedersehensfest zwischen Gott und den Menschen, ähnlich wie das Festmahl des Vaters mit dem verlorenen und wieder heimgekehrten Sohn im Gleichnis. Wir kehren um zu Gott, legen ihm unsere Verfehlungen und Versäumnisse in die Hände und erfahren seine vergebende Liebe. Er nimmt uns auf, lädt uns ein, bei ihm wieder zuhause zu sein, ohne eine sühnende Gegenleistung, allein aus Gnade.

Das Abendmahl ist ein gemeinschaftliches Essen. Keiner steht allein vor dem Altar. Meist ist es eine Gruppe recht verschiedener Menschen, die dort versammelt sind: Manche kennen sich gar nicht, manche mögen sich nicht, manche haben sich vielleicht gerade vor dem Gottesdienst noch gestritten oder tragen unausgesprochene Konflikte mit sich herum. Das Abendmahl – verstehen wir es recht – soll dazu dienen, diese Barrieren zu überwinden. Als Jesus mit Zachäus am Tisch zum Essen zusammensaß, zeigte er ihm damit seinen Willen zum Frieden, seinen Willen zur Gemeinschaft und seine bedingungslose Zuwendung. Solch eine Frieden schaffende Gemeinschaft will das Abendmahl auch in unseren Gottesdiensten sein. Dazu reicht es nicht aus, sich ein „Zeichen des Friedens“ – also einen bloßen Handschlag und ein Lächeln – über die Kirchenbänke hinweg zu geben. Das Abendmahl müsste vielmehr – wie in den Anfängen des Christentums – öfter in Form einer richtigen Mahlzeit gefeiert werden, wo Gespräche möglich sind und echte Begegnungen erfolgen können. Diese Art der Mahlfeier könnte dann dem Anspruch eines echten Gemeinschafts- und Agape-Mahles wirklich gerecht werden und Brücken zwischen den Menschen bauen: Fremde würden wahrgenommen, man könnte sie ansprechen und kennenlernen; Konflikte könnten benannt und Wege zur Lösung gesucht werden; Menschen, die sich entzweit haben, könnten wieder erste Schritte aufeinander zu wagen.

Das Abendmahl bedeutet letztlich auch Sendung. Wem Gott im Abendmahl einen neuen Anfang ermöglicht hat, indem er Versäumnisse und Verfehlungen vergibt, der kann wieder neu versuchen, sein Leben nach Gottes Willen zu führen. So ist der Blick beim Feiern des Abendmahls zugleich auch wieder nach außen gerichtet, in den Alltag, auf die Menschen, mit denen wir leben, auf die Aufgaben, die uns anvertraut sind. Diesen Menschen wieder mit Liebe zu begegnen, diese Aufgaben nach Gottes Willen zu erfüllen, dazu befreit und sendet uns das Abendmahl.

© Prof. Dr. Werner und Dorothea Zager
Abdruck oder Veröffentlichung nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Verfasser


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