Miteinander reden - Miteinander lernen

Evangelischer Bildungsimpuls 9

Himmelfahrt Jesu

von Werner Zager

 

Christi Himmelfahrt ist ein Feiertag, dessen religiöse Bedeutung für uns viel weniger auf der Hand liegt, als dies für Weihnachten oder Karfreitag der Fall ist. Und selbst Christen, denen ihr Glaube wichtig ist, fällt es schwer, den Sinngehalt dieses christlichen Festes zu erklären. Daher ist es nicht überraschend, wenn dieser christliche Festtag immer mehr aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein verschwunden ist und vom sogenannten Vatertag überlagert wurde. Christi Himmelfahrt: nicht mehr als ein freier Tag, der zu einem Ausflug in die Frühlingsnatur einlädt?

Fragen wir zurück, was dem zwischen Ostern und Pfingsten gelegenen Feiertag zugrunde liegt! Bei solcher Rückfrage stoßen wir auf einen auffälligen Befund: Von einer Himmelfahrt Jesu wird innerhalb des Neuen Testaments nur im Lukas-Evangelium und in der Apostelgeschichte erzählt, die vom gleichen Verfasser wie das Evangelium stammt. Während der Himmelfahrtsbericht am Ende des Lukas-Evangeliums sehr knapp ausfällt, findet sich im ersten Kapitel der Apostelgeschichte eine ausführlichere Fassung. Danach ließ sich der auferweckte Jesus noch vierzig Tage bei seinen Jüngern sehen und sprach mit ihnen über das Reich Gottes. Nachdem er das Kommen des heiligen Geistes angekündigt hatte, das sich im Pfingstwunder erfüllen sollte, sei er zusehends aufgehoben worden und – von einer Wolke aufgenommen – gen Himmel gefahren.

Wenn wir vierzig Tage nach Ostern Himmelfahrt feiern, dann haben wir das also letztlich Lukas zu verdanken. Die anderen Evangelisten und auch der Apostel Paulus jedenfalls wissen nichts von einer Himmelfahrt Jesu. Für sie schließt Jesu Auferstehung seine Erhöhung zu Gott dem Vater mit ein. Im Johannes-Evangelium fallen sogar Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten zusammen, wenn hier der Auferstandene, der der zur Rechten des Vaters erhöhte Herr ist, am Ostertag den Jüngern den heiligen Geist verleiht (vgl. Joh 19,20-23).

Albert Schweitzer beurteilt den lukanischen Himmelfahrtsbericht völlig zutreffend, wenn er sagt: „Ich glaube, gerade in dieser Erzählung zeigen sich schon die ersten Versuche, das Leben des Herrn mit Legenden auszuschmücken, wie man es mit dem Leben der Propheten getan, indem man von Elia erzählte, er sei auf einem feurigen Wagen zum Himmel gefahren, und wie man es später mit der Mutter Jesu tat, indem man auch von ihr erzählte, sie sei zum Himmel gefahren.“

Darüber hinaus könnte man aber auch auf das in der Antike übliche Brauchtum hinweisen, Männer, die sich durch Wohltaten auszeichneten, in den Himmel zu erheben. Man denke etwa an Hermes, Asklepios, Dionysos und Herakles. Auch Romulus, der Gründer Roms, wurde unter aufgrund seiner Verdienste unter die Vergöttlichten gezählt. Dem römischen Geschichtsschreiber Livius zufolge sei Romulus, während er eine Volksversammlung abhielt, bei einem Unwetter durch einen Sturmwind in den Himmel entrückt worden. „Daraufhin“ – so Livius – „machten einige den Anfang, und schließlich huldigten alle Romulus als einem Gott, von Gott (und zwar von Mars) gezeugt, als König und als Vater der Stadt Rom.“

Anders als ein Heide konnten jedoch die ersten Christen, die wie die Juden an den einen und einzigen Gott glaubten, nicht von einer Vergöttlichung Jesu reden. Dies lässt auch die lukanische Pfingstpredigt des Petrus erkennen. Aus der Himmelfahrt folgt nicht, dass Jesus zum Gott geworden ist, sondern dass Gott ihn zum Sohn Gottes, Messias und Herrn eingesetzt hat.

Wenn wir auch somit „Himmelfahrt“ religionsgeschichtlich sachgemäß verstehen können, ändert dies nichts daran, dass die Vorstellung eines leiblichen Entschwebens von der Erde in den Himmel uns fremd bleibt. Lässt sie sich doch mit unserem naturwissenschaftlich bestimmten Weltbild nicht vereinbaren.

An dieser Stelle scheint mir folgende Überlegung Schweitzers sehr hilfreich zu sein: „Es ist ein altes Gesetz, dass alles menschliche Denken mit dem Sinnlichen beginnt und sich von dort langsam auf das Geistige hin bewegt. Ein Kind kann sich alles Geistige nur in sinnenfälligen Formen vorstellen. Gott ist für es ein Mann und die Engel sichtbare Gestalten mit Flügeln. So war es auch in den Kindheitsjahren des Christentums. Auch da versuchte man, sich alles mehr sichtbar vorzustellen. Ihr wisst zum Beispiel, wie die Jünger und die Zeitgenossen Jesu sich das Reich Gottes als ein äußerliches irdisches Reich vorstellten und wie sie nach dem Heimgang unseres Herrn sehnsüchtig warteten, dass er auf den Wolken des Himmels erscheine, das Weltgericht abhalte und dann das Reich Gottes auf Erden gründe.

Indem sich diese endzeitliche Erwartung nicht erfüllt hat, habe dies nach dem Urteil Schweitzers dazu geführt, dass man das Reich Gottes als etwas Innerliches und Geistiges begriffen habe. Für Schweitzer bildet nun – so drückt er es in einer Himmelfahrtspredigt des Jahres 1903 aus – die eigene Zeit „gewissermaßen den Abschluss dieser großen Vergeistigung, denn die Astronomie und die Naturwissenschaft haben uns die Unendlichkeit der Welt gelehrt und uns damit den Glauben an einen räumlichen Himmel, der sich über die Erde ausbreitet, genommen“.

Von der Vorstellung einer leiblichen Himmelfahrt Jesu dürfen wir uns also getrost verabschieden. Das heißt aber nicht, dass damit der Himmel für uns erledigt wäre. Der Himmel, von dem etwa im Vaterunser die Rede ist, meint ja nicht den astronomischen Himmel, sondern das große geistige Reich, in dem Gott wirkt. Die englische Sprache tut sich hier leichter als die deutsche, indem sie zwischen dem Himmel über uns (sky) und dem Himmel als dem Bereich Gottes (heaven) unterscheidet. An Gottes himmlischem Reich dürfen wir bereits jetzt Anteil haben, wenn uns – mit den Worten des Paulus gesagt – von Gott „Gerechtigkeit und Friede und Freude im heiligen Geist“ (Röm 14,17) geschenkt werden.

Eine solche Vergeistigung des christlichen Glaubens hat Albert Schweitzer mit dem Stapellauf eines Schiffes verglichen, bei dem das Schiff, nachdem das letzte Stützholz abgeschlagen ist, von der Erde ins Wasser gleitet:

So war auch das Christentum gestützt und zugleich beengt durch die natürlichen menschlichen Vorstellungsweisen, und als es nun langsam eine dieser Stützen nach der andern verlor und die moderne Naturwissenschaft die letzte wegschlug, da standen sie drum herum und fürchteten, es möchte umfallen und zerbersten. Aber nein, siehe, vollendet und befreit von aller Beengung gleitet es auf das Meer hinaus, und dort wird es in Zukunft fahren. Keine irdische Vorstellungsweise wird es in Zukunft mehr beengen, keine wissenschaftliche Erkenntnis ihm mehr Gefahr bringen. Es lässt das alles hinter sich zurück, es steht über Erkennen und Wissenschaft, als rein geistige Religion fährt es frei und leicht auf der Unendlichkeit dahin.“

Doch wie gewinnt diese Vergeistigung des Christentums konkret Gestalt? Unser „Wandeln im Himmel“ bzw. unser „Versetzt-Sein in das Reich des geliebten Sohnes“ – um einmal Formulierungen aus dem Römer- und Kolosserbrief aufzugreifen – zeigt sich darin, dass wir das Werk Jesu fortsetzen und damit zur Vollendung des Reiches Gottes beitragen. „Himmelfahrt Christi“ ist ja nicht Ausdruck dafür, dass Jesus uns ferngerückt ist, sondern er mit seinem Geist mitten unter uns ist. Den Abschiedsreden im Johannes-Evangelium zufolge ist der Weggang Jesu aus der irdischen Welt dafür die Voraussetzung.

Nach Schweitzers Sicht hat dies „niemand schöner ausgedrückt als der Apostel Paulus. Er vergleicht die Christenheit, die sich ausdehnt, bis sie einmal die ganze Welt umfasst, mit einem Leibe, wo die Christen die tätigen Glieder sind und er, der verklärte Heiland, der Geist und Wille, der sie alle belebt und alle bewegt. So ergibt sich für die Christen, welche zu ihrem verklärten Herrn aufschauen, eine Aufgabe: zu arbeiten an der Ausbreitung seines Reiches, ein Glied zu sein, das durch seinen Geist belebt wird.

Heißt das nun, dass wir alle zu Predigern und Missionaren werden müssten. Keineswegs! Das Bild vom Leib und den Gliedern macht deutlich, dass es verschiedene Aufgaben und Befähigungen gibt. Worauf es ankommt, ist aber dies, dass wir uns vom Geist Jesu leiten lassen.

Dieser Geist hält uns dazu an, nicht zuerst an uns selbst zu denken, was uns wichtig ist, was uns guttut, sondern an die Menschen, ja an alle Geschöpfe, die unserer Hilfe, unseres Beistands bedürfen. Als ein Glied am Leib Christi kann es uns nicht gleichgültig sein, wie es den anderen Gliedern geht. Wir sind sowohl zum Mit-Leiden als auch zur Mit-Freude aufgerufen.


© Prof. Dr. Werner Zager
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