Evangelischer Bildungsimpuls 1
Glaubwürdig von Gott reden
von Dorothea Zager und Werner Zager
Mancher, der sonntäglich im Gottesdienst das Glaubensbekenntnis spricht, eingebettet im Zentrum des Gottesdienstes zwischen Bibellesung und Predigt, gesprochen im Chor mit so vielen anderen, mit solchen, die er kennt, und solchen, die er nicht kennt, hat so manches Mal mit unwohlen Gefühlen zu kämpfen.
Es geschieht, dass er mitspricht, ohne daran zu denken, was er da sagt. Das ist dann ganz ähnlich wie beim Vaterunser. Man kennt es schon so gut. Es ist einem schon so sehr vertraut. Und dann wandern die Gedanken ab, ja sie sind bisweilen sogar von Anfang an gar nicht dabei. Und man fühlt sich gleichsam ertappt, zu „plappern wie die Heiden“, und es bricht die Frage in uns auf: Warum geschieht solche Gewöhnung? Glaube ich nicht mehr richtig, so dass mir diese Worte so wenig sagen?
Es geschieht auch, wenn man wirklich bedenkt, was wir da sprechen, dass Unfreiheit unser Herz erfüllt, Fragen und Zweifel. Die Worte gehen so schnell dahin im Fluss der Formulierungen und übertönen die Fragen, die in uns klingen: „geboren von der Jungfrau Maria?“ ... „hinabgestiegen in das Reich des Todes?“ ... „ich glaube an den Heiligen Geist?“ Da kann es geschehen, wenn wir wirklich mit ganzem Herzen bei der Sache sind, dass es in uns ruft: Halt, ist das, was ich hier spreche, wirklich mein eigener Glaube?
Albert Schweitzer macht Mut zu einem freieren Verständnis des Glaubensbekenntnisses. Glaubenslehre als ein in feste Worte gefasstes, theologisches Denk- und Glaubensgebäude war für ihn nicht wichtig, ja mehr noch, er betrachtete es als falsch, die unergründliche Wahrheit Gottes in Systeme pressen zu wollen. Da Gott unseren Verstand und unser Begreifen übersteigt, ist es müßig, theologische Denkschemata und Systeme auszuarbeiten, mit deren Hilfe seine Wirklichkeit, seine Seinsweise und sein Wirken erfasst werden soll, oder gar darüber zu streiten. Gott passt in keine Formel und in kein System. Selbst Jesus, der doch die maßgebliche Gestalt unserer Religion ist, hat keine eigentliche Lehre über Gott vermittelt. Vielmehr hat er seine Jüngerinnen und Jünger an seiner Gotteserfahrung in seinen Worten, seiner Gebetspraxis, seinen Mahlgemeinschaften und Heilungstaten teilhaben lassen. Dies hat auch Schweitzer hervorgehoben:
„Zu einer Vorstellung von Gott, dem Inbegriff aller Existenz, zu gelangen, ist uns nicht möglich. Wir quälen uns damit ab. Worauf es ankommt, ist die wahre Frömmigkeit. Diese hat uns Jesus gelehrt, in reinen, einfachen und ergreifenden Reden: in der Bergpredigt, in den Seligpreisungen, wo er uns lehrt, Gotteskinder zu werden und als solche zu leben und zu streben. Darum geht es. Wir können nicht in das Sonnenlicht schauen. Sein Glanz ist zu stark! Wir können nur leben im Geiste Gottes. Dieses hat uns Jesus gelehrt. Er hat es uns gezeigt.“
Als glaubende Menschen können wir Gott nicht wahrnehmen, sondern nur uns selbst und unsere Welt im Lichte der Gegenwart Gottes.
Machen wir mit dieser Erkenntnis ernst, dass Gott selbst nicht begrifflich festgelegt werden kann und für uns Christen Jesus die maßgebliche Quelle der Gotteserkenntnis ist, gelangen wir zu einer ganz neuen Freiheit. Wir brauchen uns nicht mehr damit abzuquälen, Dinge zu glauben, die uns durch die kirchliche Tradition überkommen sind, aber die zu erkennen uns gar nicht möglich sind.
Als ein Beispiel solcher Befreiung sei die Lehre von der göttlichen Dreieinigkeit genannt. Wir können nicht wissen, wie Gottes Sein näher zu bestimmen ist und auf welch vielerlei Weise er uns begegnen kann. Jesus selbst sogar, der sich der von Johannes gespendeten „Bußtaufe zur Vergebung der Sünden“ (Markus 1,4) unterzogen hat und damit ein Zeichen setzte, dass er sich den Menschen zutiefst verbunden wusste, hat sich die Anrede „guter Meister“ verbeten, weil allein Gott „gut“ zu nennen sei (vgl. Markus 10,17 f.).
Die evangelische Freiheit gegenüber dem Dogma hat Albert Schweitzer einmal in einem Brief an einen Jungen in schlichter, aber zugleich überzeugender Form verteidigt:
„Es tut mir leid, dass Du und andere protestantische Knaben Euch meinetwegen schämen musstet, weil man sagt, ich habe nicht den rechten Glauben an die Dreieinigkeit. Ich teile dies mit so manchen Christen der vergangenen Zeit und der Jetztzeit. Ich glaube an Gott, der unser Vater ist, an den Herrn Jesus, der unser Erlöser ist, an den heiligen Geist, der in unserm Herzen herrschen soll. Aber ich weiss nicht, ob die Lehre, die im Christentum verbreitet ist, wie diese Drei eine Einheit bilden, das grosse Geheimnis ihrer Zusammengehörigkeit richtig ausdrückt. Ich frage mich überhaupt, ob wir Menschen dieses Geheimnis verstehen können. Ich meine auch, dass die Hauptsache ist, dass wir Gott in der rechten Weise als unsern Vater erkennen, Jesum Christum in der rechten Weise lieben und den heiligen Geist in unserm Herzen recht herrschen lassen. Das ist, meine ich, die Hauptsache. Und wenn der Herr Jesus gemeint hätte, dass es ganz darauf ankommt, wie wir es uns vorstellen können, wie diese Drei eine Einheit bilden, hätte er es uns gelehrt. Er hat es aber nicht getan. So glaube ich nicht, dass eine Lehre, die dann später in der Kirche aufgestellt wurde, das, was Jesus nicht gesagt hat, ersetzen kann. Und so lebe ich und versuche in dem rechten Geiste fromm zu sein. Denn das ist die Hauptsache. Gott sieht das Herz an, und Gott ist es, der richtet, nicht die Menschen. Und ich bitte Euch: denkt immer in Eurem Leben daran, dass die Hauptsache ist, die wahre Frömmigkeit und dass der Geist Gottes in Euren Herzen regiere.
Hat der Apostel Paulus doch so schön gesagt: welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. Wenn wir auch nicht in allen Anschauungen des Glaubens miteinander übereinstimmen können, so gehören wir doch alle zusammen als die, die durch den Geist Gottes, der in ihnen regiere, Gottes Kinder sind.
Darum traget nicht zu schwer daran, dass Ihr Euch meiner schämen müsst, und trachtet danach, Gottes Kinder zu werden. Und seid friedfertig und lieb mit denen, die anders denken in Sachen der Religion. Denn unser Herr Jesus hat uns zum Frieden berufen. Selig sind die Friedfertigen, hat er in der Bergpredigt gesagt. In allem erweist Euch als die Friedfertigen! Auch in den Glaubensunterschieden, die innerhalb des Christentums bestehen.“
Das immer wiederkehrende Sprechen des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Gottesdienst verbindet uns zwar mit den christlichen Kirchen auf dem ganzen Erdenrund und hat von daher sicher einen symbolischen Wert für die Einheit der Christenheit. Aber diese festgefügte Formulierung des Gehalts christlichen Glaubens darf nicht dazu missbraucht werden, jeden Glaubenden auf dieselben Glaubensvorstellungen zu verpflichten und manchem dabei vielleicht sogar das Opfer seines Verstandes abzuverlangen. Abgesehen davon, dass sich solch eine Verpflichtung in unserer Zeit kaum noch ein vernünftig denkender Mensch gefallen ließe, ist es ungemein wichtig, dass wir denen, die um einen rechten Glauben ringen, die Freiheit geben, ihren eigenen Glauben mit seiner ganz persönlichen Eigenart zu formulieren und als Wert in unser kirchliches und gesellschaftliches Leben einzubringen. In diesem Sinne hat sich auch Schweitzer ausgesprochen, wenn er in einem Brief vom 13. November 1954 schreibt:
„Ja, die grosse Frage ist, dass sich die Kirche nicht ans Apostolikum, das nicht von den Aposteln ist, bindet, sondern auf das Evangelische, was dem Evangelium gemäss ist, ausgeht. Die Gefahr, dass sie diesen Weg verfehlt, ist gross. [...] Arbeiten Sie weiter für den freien Protestantismus. Er braucht gerade Laien, die für ihn eintreten.“
Das kann aber nun nicht heißen, dass die Rettung unserer Kirche darin läge, auf das gemeinschaftliche Sprechen des Glaubensbekenntnisses zu verzichten. Denn: Kein Mensch kann für sich allein Christ sein. Er ist angewiesen auf die Gemeinde, die glaubende Gemeinschaft, die ihn umgibt und ihm Geborgenheit schenkt. Insofern ist auch ein gemeinsames Bekennen des Glaubens neben Schriftlesung, Gespräch, Predigt und gemeinschaftlichem Gebet unverzichtbar. Aber dieses Bekennen darf sich nicht darin erschöpfen, immer wieder altehrwürdige Formeln unhinterfragt zu wiederholen. Vielmehr kommt es darauf an, das zum Ausdruck zu bringen, was uns im Tiefsten berührt, was unser Leben mit Sinn erfüllt, was uns umtreibt. Zu jeder Zeit muss um der Wahrhaftigkeit des Bekenntnisses willen neu um dessen Inhalte und um dessen Formulierungen gerungen werden.
© Prof. Dr. Werner und Dorothea Zager
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